Nicht ernstzunehmen?
Gut gelaunt wie eh und ja hat Magnus Striet sich zum Fraternal Letter der mittlerweile 90 Bischöfe aus Amerika und Afrika gemeldet. Unter dem Titel »Nehme Brief zum Synodalen Weg intellektuell nicht allzu ernst« gibt er den Lesern und Leserinnen von katholischde gleich schon einmal eine Vorgabe für ihre weitergehende Reflexion. »Nichternstnahme« ist allerdings eine subjektive Gemütszuschreibung. »Du bist ganz in Sünden geboren und willst uns belehren?« ist ein neutestamentliches Zeugnis solch intellektueller Verachtung. Wir kennen den Fortgang der Geschichte und wissen, gegen wen der Vorwurf intellektueller Schlichtheit von Christus her ausschlug.
»Ich nehme das nicht ernst« ist lediglich ein Dokument persönlicher Verachtung. Ob der Fraternal Letter tatsächlich nicht ernst zu nehmen ist, das ist immer noch von den Argumenten abhängig. Theologische Argumente gewinnen ihre Überzeugungsgewalt allerdings aufgrund der Vorannahmen, auf denen sie aufbauen können. Die Frage, ob Striets Verdikt wirklich zutrifft oder nicht, ist von solchen Vorannahmen abhängig. Wir müssen also Magnus Striets Hermeneutik untersuchen, um ihm zu antworten.
Listig unterstellt Striet den neunzig Bischöfen, sie gäben eine Antwort auf Fragen, die (ihnen) nie gestellt wurden. »Wer seid ihr denn? Warum gebt ihr eine Antwort auf nicht gestellte Fragen? Seid ihr überhaupt befugt euch einzumischen?« Das schwingt darin mit. Aber zu Recht? Formal produziert der Synodale Weg Anträge und weltkirchliche Arbeitsaufträge, die allein durch ihre Existenz eine Frage an die Weltkirche und an den in Lumen Gentium begründeten Kollegialitätsauftrag der weltweiten Gemeinschaft der Bischöfe stellen. Striet wirft den unterzeichnenden Bischöfen vor, dass sie ihre Arbeit tun. Wenn das ein Fehler ist, dann sicherlich einer, den man der Mehrheit deutscher Bischöfe nicht vorhalten kann. Und wenn man die Sache einmal von der anderen Seite her betrachtet: Wer hat Herrn Striet eigentlich gebeten, sich in einen Briefdialog zwischen Bischöfen einzumischen? Wer hat ihn »gefragt«?
Wen kümmert schon ein Schisma?
Den Bischöfen ist der Dienst an der Einheit aufgetragen. Die kirchliche Einheit bedeutet nicht Uniformität – wo Striet diesen Begriff benutzt, assoziiert er sie mit Gleichmacherei. In Wirklichkeit bedeutet Einheit jedoch, in aller Lebensvielfalt das eine Ziel Christus nicht aus dem Auge zu verlieren. Einheit ist nicht nur synchron, sondern auch diachron zu verstehen. So kann sich der Christ des21. Jahrhunderts auch mit der Märtyrerin des zweiten Jahrhunderts identifizieren.
Welche Haltung hat ein Mensch gegenüber der Kirche, wenn ihm der Bruch der Einheit im Glauben nicht nur egal ist, sondern geradezu als der Reformweg Jesu erscheint? Der Vergleich mit der falschen Mutter im Salomonischen Urteil drängt sich mir auf:»Doch die andere rief: Es soll weder mir noch dir gehören. Zerteilt es!« 1 Kön 3,26
Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat
Die tradierte Moral knechtet den Menschen. Die nur angeblich dem Menschen vorangehende gottgegebene Moral ist Illusion und steht unter dem Verdacht des Machtmissbrauchs. Soweit der Eindruck bei der Lektüre des Textes. Damit wird der Wunsch nach Heiligkeit aufgegeben, beziehungsweise glatt negiert. Authentizität ist die neue Vollkommenheit, die kein Mensch aus eigener Kraft erreichen konnte. Der paulinische Freiheitsbegriff des Gestorbenseins gegenüber der Sünde spielt in Striets Denken keine Rolle mehr. Der Mensch ist nicht erlöst, er hat nur seine Skrupel verloren.
Striets »Jesus« bleibt als historisch begrenzte Person in der Vergangenheit, hat ›von Vorstellungen eines modernen Selbstbestimmungsrechts nichts gewusst‹. Die Gleichzeitigkeit Jesu Christi zu jedem lebenden Menschen, die Möglichkeit, dass er mich aus göttlichem Wissen heraus gekannt hat und so am Kreuz für mich sein Leben geben konnte – für Magnus Striet ist sie ausgeschlossen. Sein Christus ist ein lediglich ein Fischlein im Fluss des Weltgeists.
Das Evangelium der Selbsterlösung
Was bleibt im Evangelium nach Striet von der Verkündigung Jesus Christi? Vielleicht eine Welle, die anrollt und sich schließlich am Strand der Pariser und Königsberger Aufklärung bricht? Für den Begriff des (einen) Evangeliums, wie für jeden Singular im Mahnbrief der 74 Bischöfe hat Striet nur intellektuelle Verachtung übrig. Wenn er dann aber selber völlig unkritisch von »diesem Evangelium« spricht, dann meint er das Evangelium von der Befreiung des Menschen aus der Bevormundung durch die Kirche. Da stört es ihn intellektuell auf einmal nicht, den Begriff »Evangelium« eindeutig festzulegen. Solche Widersprüche ziehen sich durch seine gesamte Stellungnahme:
Seine wiederholte Betonung intellektueller Standards (die er selbstverständlich zu erfüllen glaubt) wirkt durch die Verachtung, die er für seine Gegner bereithält, die sich auf den Heiligen Geist berufen, nur noch peinlicher. Es ist ein sehr schlichtes, intellektuell dürftiges, aber leider auch von allen guten Geistern verlassenes, simples Freund-Feind-Schema, das seiner Argumentation zugrunde liegt.
Die Bischöfe sind jetzt gefragt
Bischof Bätzing unterstellt in seiner ausweichenden Antwort auf den Fraternal Letter den kritischen Bischöfen eine hysterische Überreaktion, da sie die Gefahr eines Schismas beschwören. Er wirft ihnen vehement vor, ihre Kritik nicht am Thema der Aufarbeitung des Missbrauchs festzumachen. Im Gegensatz zu Bischof Bätzing ist der Fundamentaltheologe Striet realistisch genug, den Synodalen Weg als Instrument zur Durchsetzung von LGBTQ-Rechten, Frauenpriestertum und einer veränderten Konzeption von Sakramentalität zu sehen – ob er wie Bätzing in dem Debattenformat eine Aufarbeitung des Misbrauchs sieht, sagt er hingegen nicht. Er selbst lässt das Thema ebenfalls unerwähnt. Allerdings kritisiert er die Auffassung, zentrale Forderungen des Synodalen Wegs seien in absehbarer Zeit in Einheit mit der Weltkirche zu bewerkstelligen. Das Schisma ist für ihn bereits jetzt eine Realität, seine Sichtbarmachung keinesfalls das größte Unglück: »Wenn ein solcher geglaubter Glaube schismatisch wirkt, dann ist das so.«
Es liegt auf der Hand, dass Bätzings und Striets Sicht einander nicht nur widersprechen, sondern auch, dass sie nebeneinander nicht bestehen können, wenn beide Personen glaubhaft sein wollen. Striet behauptet: »Historische Prozesse sind offen. Ich bin für Konsequenz.« Das gilt allerdings auch für biographische Prozesse. Sogar für den Freiburger Professor Striet.