Christnacht. Maria und Josef auf der Flucht, Herbergssuche als Abweisung gelesen, die Flucht nach Ägypten: Verlockendes Predigtmaterial. Mischt euch ein, tut was, seid nicht hartherzig angesichts der Not.
Alles richtig. Und ohne Abstriche. Jeder soll den Herrn fragen, was Sein Wille ist.
Doch alles ist vergebens, wenn ich nicht innewerde: Ich selber bin der Flüchtling. Ich bin derjenige, der vor Gottes Angesicht wegläuft. Das Kind ist gekommen, um bei mir zu wohnen, damit ich eine Heimat habe.
Ich wünsche dir die Gnade der Heiligen Nacht.
Ein kleines Mosaiksteinchen zum heutigen Fest hat uns Paul Badde mit seiner Spurensuche der Marienerscheinung von Guadalupe in der Stadt der Päpste geschenkt: Weiterlesen
Quaeritur: Hat Jesus gelacht?
Die Bibel kennt das laute Lachen zunächst einmal als Hohnlachen der Sieger über die Besiegten. Das scheint mir der Grund dafür zu sein, daß der Begriff »Lachen« in der Schrift eine schlechte Presse hat.
Lachen als Ausdruck der Freude gehört zum Menschsein. Und es wäre ja geradezu »häretisch«, anzunehmen, daß uns der Gottessohn darin nicht gleich geworden sei.
Für C. S. Lewis gehört das Lachen geradezu zur Schöpfung.
»You have not made the first joke; you have only been the first joke.« (Aslan)
Nachdem das Bleiboot sachgerecht die Profanierung des Zentrums der Christenheit festgestellt hat – Beweis: Selbst die KRIPPE blieb unbeleuchtet – dümpelt das Rebellenschiff, von dem aus mehr als einmal Friendly Fire aufs Flaggschiff ausging, endgültig in Gewässer, die bislang nur Donaudampfern vorbehalten waren. Es gibt Formen ätzender Kritik, die längst keine Kritik mehr sind, sondern lediglich ein haltloses Austoben der eigenen Unbehaustheit.
Das Wichtigste zum Schluss. Seinen umstrittenen »Standpunkt« auf dem Portal der Katholischen Kirche im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz beschließt der Redakteur Björn Odendahl mit dem Satz: »Natürlich wünscht man sich für Europa mehr Glaubensfreude und missionarische Kraft. Doch ein romantisierendes Ideal der Armut, wie es nicht nur der Papst fordert, hilft uns dabei nicht weiter. Die Kirche braucht auch einen Apparat und Geld, um Gutes zu tun.«
Natürlich. Natürlich. Vorher hat er – darüber wurde lang, breit und nicht immer fair debattiert – erst einmal den Glauben der Kirche in Afrika dekonstruiert und das afrikanische Glaubenswachstum in erster Linie darauf zurückgeführt, dass die Menschen dort einfache Antworen auf schwierige Glaubensfragen akzeptierten. Ob da nicht eine Haltung der Simplizität mit der Einfachheit des Evangeliums verwechselt wird? Der Jünger Jesu hat »un cœur pur«, ein einfaches, schlichtes Herz, das auf den Anruf Gottes hört und mit dem schlichten »Ja« antwortet, das Maria in Nazareth gesprochen hat.
Aber das ist nur ein Nebenaspekt für mich. Ich betrachte ein wenig erstaunt den »Apparat«. So unverblümt hat bisher kaum jemand den Unterschied zwischen der Kirche der Neuerer und der Kirche, die semper reformanda, immer zu erneuern ist, ausgesprochen.
Ein Apparat zeichnet sich für mich dadurch aus, dass er genau das produziert, wozu er konstruiert wurde. Kein Apparat kann über sich hinausgehen und ein Produkt neuer Ordnung erzeugen. Die Maschine produziert maschinelles. Der Apparat steht ganz in der Logik dessen, der ihn konstruiert hat. Darum ist der kirchliche Apparat so wenig inspirierend. Darum kreisen die Erzeugnisse des kirchlichen Apparats immer so trostlos in einem Vorraum des Glaubens.
Ich halte es mehr mit der Kirche, die sich als Organismus versteht. Einer Kirche, die sich vom Heiligen Geist beseelen läßt. Eine Kirche, die nicht mit schalen Moralismus daherkommt, wenn sie sich mit einem beklemmend dummen Meme einen billigen Effekt verschafft, auf dem ihr Herr als »aramäischer Wanderprediger« bezeichnet wird.
Geht uns im Glauben voran, liebe Redaktion. Psychoanalysiert und soziologisiert nicht den Glauben. Ergreift das Schwert des Geistes (Eph. 6), ermutigt und helft, aus dem Gebet heraus Aufbrüche zu finden, die diesen Namen auch verdienen.
»Alle Berichte über die hl. Elisabeth zeigen, mit welcher Hingabe und Furchtlosigkeit sie die Aussätzigen pflegte, die damals allgemein geächtet waren, wie fürsorglich sie sich um die Wöchnerinnen kümmerte, wie zärtlich sie mit den Kindern umging, wie sie allenthalben Trost spendete und Freude bereitete. Eines der wenigen Worte, die von ihr überliefert sind, lautet: ›Ich habe euch immer gesagt, daß wir die Menschen fröhlich machen müssen.‹«
(Melchers, das große Buch der Heiligen)
»Hierher kam auch Kaiser Konstantin acht Tage nach seiner Taufe, nahm die Krone ab, warf sich zur Erde nieder und vergoß viele Tränen.
Dann nahm er eine Hacke, grub die Erde auf und ließ zur Ehre der zwölf Apostel zwölf Körbe voll Erde von da wegnehmen. Dann bestimmte er den Platz für eine Basilika zu Ehren des Apostelfürsten; diese Kirche ließ er dann bauen.
Der Heilige Papst Silvester weihte sie am 18. November, genauso wie er am 9. November die Laterankirche geweiht hatte; er errichtete darin einen Altar aus Stein und salbte ihn mit Chrisam. Zugleich verordnete er, daß in Zukunft nur noch Altäre aus Stein errichtet werden sollten. Papst Silvester weihte auch die Basilika des heiligen Paulus, die Kaiser Konstantin an der Straße nach Ostia in prachtvoller Weise erbaute. Der Kaiser stattete diese beiden Basiliken auch mit reichem Landbesitz aus und verlieh ihnen gar manche wertvolle Geschenke.«
(2. Nocturn zum 18. November, 4. Lesung)
Ein Freitag im Oktober 1988. Ich breche ein wenig aus meinem Semesteralltag aus und fahre mit einem Freund, einem christlichen Musiker, nach Süddeutschland. Viel Zeit zum Erzählen, und im Hintergrund laufen fast unbeachtet die Nachrichten. Plötzlich läßt uns doch eine Mitteilung aufhorchen. Das Grabtuch von Turin sei eine Fälschung aus dem dreizehnten Jahrhundert, so habedie Radiocarbonmethode zur Altersfeststellung des Tuchs gezeigt.. Plötzlich ist das Thema da: Was bedeuten eigentlich solche sichtbare Zeichen für den Glauben, und was ändert sich, wenn sie sich als falsch erweisen? Schnell sind wir uns einig, daß der Glaube an Christus nicht von Tüchern und Bildern abhängig sein kann.
Und doch bleibt das Thema »Grabtuch« für mich präsent. Ich erfahre später, daß gegen die mit großer Öffentlichkeit verkündete Datierung Bedenken erhoben werden. Leinenstoff, der Wetter, Kerzenruß, Händen, Feuer ausgesetzt war, der im Lauf der Geschichte ausgebessert wurde, ist aufgrund dieser Methode nicht mehr sicher zu bestimmen. Dieses geheimnisvolle Tuch, das im Dom von Turin aufbewahrt wird, ist entfaltet vier Meter breit und zeigt den zweifachen Abdruck eines Mannes, Spuren von Blut und Wunden, sowie Brandflecke aus unterschiedlichen Zeiten.
Die Erfindung der Fotografie und die Entwicklung weiterer Wissenschaftsdisziplinen hatten das Abbild als anatomisch und forensisch vollkommen sichere Abbildung eines Gekreuzigten offenbart, auch wenn nicht nachgewiesen werden kann, wie ein derart fotografischer Eindruck auf dem Gewebe entstehen konnte. Weitere Disziplinen kommen den Forschern, die sich weiterhin um das Grabtuch bemühen zu Hilfe: Die Botanik identifiziert Pollen im Gewebe, die nur in einem kleinen Streifen Judäas gemeinsam vorkommen, die Medizin bestätigt alle Symptome eines Erstickungstodes, den der Mann, der in das Tuch gelegt wurde, als Folge von Mißhandlung und Kreuzigung erlitten hat, der historischen Forschung gelingt es schließlich, den wahrscheinlichen Weg des Tuchs von Jerusalem in den Piemont nachzuvollziehen.
Oft las ich die Beschreibung der Beobachtungen der Tuchforscher (Sindonologen) – und war jedesmal zutiefst betroffen. Denn was durch Hilfswissenschaften hier zusammengestellt wurde, war das detaillierte Bild einer Kreuzigung. Der Mann auf dem Tuch wurde qualvoll zu Tode gebracht. In manchem korrigiert diese Abbildung gängige, von der Kunst kolportierte Vorstellungen vom Geschehen der Kreuzigung. So hat die Kunst immer die Male der Nägel in den Handflächen dargestellt. Der Gekreuzigte auf dem Tuch weist hingegen die Wunden an der Handwurzel auf. Die Spuren der Kopfverletzungen zeigen einen Unterschied zur klassischen Darstellung der Dornenkrone. Danach war die Dornenkrone Jesu, gemäß der Form einer Herrscherkrone im Altertum, eine Haube und kein Kranz.
Zu Jahresbeginn erfuhr ich, dass Papst Franziskus eine erneute Ausstellung des Tuchs in Turin angeordnet hatte, wußte ich, daß ich die Gelegenheit. selber vor dem Grabtuch zu stehen und es zu sehen, nicht auslassen wollte. 60 Tage lang, bis zur Schließung der Ausstellung am 24. Juni, bestand täglich die Möglichkeit, einen Moment lang vor dem Tuch zu beten.
Über Pfingsten ergab sich die Gelegenheit. Wir wählten den Weg über die Schweiz und gelangten am Abend des Pfingstsonntags über den verschneiten Julierpass und durch das frühsommerlich prächtige Engadin nach Turin. Die wild wuchernden Vorstädte der Industriestadt vor dem Alpenpanorama machen mich nachdenklich. Sind die Wohnsilos rechts und links der autostrada dem Menschen überhaupt gemäß? Welche Bedeutung hat die Verehrung eines so wichtigen Schatzes der Christenheit für die Hoffnung der eingepferchten Menschen? Ich denke an Papst Franziskus und sein Herz für die Armen. Ein paar Woche später wird er die Ärmsten der Stadt Rom mit päpstlichem Segen als Vorauskommando für sein eigenes Kommen nach Turin schicken.
In Turin nehmen wir uns Zeit für einen ausgiebigeren Stadtbummel, bevor wir zum Heiligtum vorgelassen werden. Die Stadt ist voller Pilger, die nicht nur das Grabtuch besuchen wollen, sondern gekommen sind, um mit den Salesianern den Geburtstag ihres großen Heiligen Johannes Don Bosco zu feiern. Dieser gibt mir eine erste Antwort auf die Frage nach den Armen in unserer Geschichte: Zuwendung zu den Armen … und Vertrauen.
Dann endlich gelangen wir vor das ausgestellte Grabtuch. Ein seltsamer Augenblick, fast wie die Audienz bei einem König, der sich hinter einem Vorhang verborgen hält. Man sieht die Umrisse der Majestät, und ein Zeremonienmeister spricht monotone Begrüßungsworte. Aber nein – in Wirklichkeit stehen wir vor dem Tuch, das in einem gewaltigen Rahmen ausgespannt ist. Es wird kalt beleuchtet, der Raum ist dunkel, alles mit schwarzem Tuch ausgeschlagen. Der Zeremonienmeister ist ein Vorbeter, der jeder Besuchergruppe Gebetsworte – Dank, Lobpreis, Betrachtung, Bitte in den Mund legt. Menschen bleiben stehen, machen Handyphotos, wispern leise. Ich bemühe mich nicht, Details auf dem Tuch zu erkennen. Das kann ich anhand guter Abbildungen immer noch tun. Es ist wie ein inneres Gespräch mit dem Herrn, der – wie hinter dem Vorhang – da ist, und doch nicht da. Sehr nüchtern, ernüchtert fast, verlassen wir wenige Minuten später die Kirche. Ich habe einen großen Moment erlebt, da bin ich sicher, aber die Frage nach der Gegenwart des Herrn löst sich erst danach in der Begegnung mit der Eucharistie. In den gewandelten Gestalten von Brot und Wein ist Er dann selber da. Nicht mehr hinter dem Vorhang, sondern IM Herzen. Ja, es ist ein guter Besuch.
Selbstverständlich werden Zweifel und Anfragen gegen die Hypothese der Echtheit des Grabtuchs von Turin ins Feld geführt. Wer die Spuren der Grabtuchdebatte im Internet verfolgt, stößt auf verhärtete Fronten von Echtheitsbefürwortern und Bestreitern. Doch auch wenn sich alle Befunde als wahr erwiesen, die für die Echtheit sprechen, so wäre das Grabtuch von Turin an sich noch kein Beweis für die Auferstehung Jesu. Es setzt den Glauben an die Osterbotschaft vom leeren Grab voraus. Die Wirklichkeit des Auferstandenen erweist sich nicht an einer Stoffbahn, sondern im Herzen des Menschen, der sich ihm öffnet.
Ich denke an eine Begegnung aus der Passionserzählung des Markus. Bei der Verhaftung Jesu hastet ein junger Mann in wilder Flucht davon. Er war, wie Markus berichtet, mit einem Tuch bekleidet, und dieses Tuch bleibt in den Händen der Häscher zurück, als sie ihn festhalten wollen. Der Junge flieht nackt. Mir scheint dies ein gutes Bild zu sein, auch wenn ich damit die biblische Geschichte überstrapaziere: Wenn mir die relative Sicherheit der vertrauten Zeichen, dessen, was mich im weitesten Sinne bekleidet, verlässt, wenn ich nichts Schmückendes mehr an mir und um mich habe, was mir Schutz oder Ansehnlichkeit gibt, dann bleibt der nackte Glaube.